Thursday, February 6, 2014

Die Geschichte von Edegario


 
Edegario (12) zeigt mir, wo das Haus seiner Familie gestanden hat: Zwei Holzpfosten sind alles, was von ihrem Zuhause übrig geblieben ist. Jetzt wohnen sie im Haus ihres Onkels nebenan, das schwer beschädigt den Sturm und die Flut überlebt hat. Sie haben es so gut sie konnten geflickt - mit Blechen, Planen und Brettern die sie sich in den Trümmern zusammengesucht haben.
Edegario lebt in einem der Stadtteile der besonders stark vom Taifun betroffen ist. Drei Monate später bieten sich einem immer noch Bilder der Zerstörung. Zumindest sind inzwischen die meisten Trümmer geräumt. Ein Bagger arbeitet fleissig. Meterhoch waren dort die Trümmer, sagt mir Edegario. "Hier waren früher überall Bäume." Heute sehe ich nur eine Handvoll Kokospalmen zwischen all den abgeknickten oder entwurzelten Bäumen, die einmal die Lebensgrundlage der Leute waren.

Edegario geht in die 6. Klasse der Manlurip Grundschule in Tacloban. Seine Lieblingsfächer sind Englisch, Mathe und Sozialkunde. "Unser Schule war wirklich schön davor," erzählt mir Edegario. "Hier waren überall Gras und Blumen und wir spielten bis spät am Abend Volleyball oder Tumbang Preso." Tumbang Preso ist ein traditionelles philippinisches Kinderspiel, bei dem man mit seiner Sandale eine Dose treffen muss. Jetzt gehen er und die anderen Kinder direkt nach der Schule nach Hause bevore es dunkel wird, denn in der Gegend gibt es nach wie vor keinen Strom.

Er zeigt mir sein früheres Klassenzimmer: "Jetzt haben wir kein Dach mehr, die ganze Einrichtung, die Bücher, die Materialien... alles weggespült. Yolanda hat unsere Schule wirklich zerstört." Seine Klasse wird in einem weissen UNICEF-Zelt unterrichtet und hat UNICEF-Materialien bekommen wie Hefte und Stifte und andere Lernmaterialien, doch wenn die Sonne brennt, kann es heiss werden. Seit die Schule wieder geöffnet ist, wird von Montag bis Samstag unterrichtet, um den Schülern die Gelegenheit zu geben, die verpasste Zeit nachzuholen. Ein grosser See ist hinter dem Schulgelände geblieben, wo früher eine grosse Wiese war. UNICEF-Planen auf den Dächern der notdürftig reparierten Klassenzimmer flattern im Wind.

So sehr sie durch den Verlust aller Habseligkeiten geschockt sind, so sehr ist seine Familie glücklich dass sie überhaupt noch zusammen sind. Alle fünf haben überlebt: Sein Vater Edegario Sr., Mutter Mila, und die drei Jungs. Nachdem der Sturm und die Flut ir Haus komplette zerstört hatten, flüchtete die Familie an den Flughafen, wo sie drei Tage und Nächte lang Schlange stehen mussten bis sie Platz in einer koreanischen C130-Militärmaschine fanden, die sie aus dem Katastrophengebiet nach Manila evakuierte. "Drei Tage lang hatten wir nichts zu essen," erinnert er sich. Sogar nachts mussten sie in der Schlange bleiben. "Es war mein erstes Mal in einem Flugzeug. Es war so voll. Mir wurde schwindelig."

In Manila kamen sie bei Edegarios Grossmutter unter. Als die Nachbarschaft mitbekam, dass sie Taifunopfer sind, gaben sie ihnen zu essen und zu trinken, und der Pfarrer kümmerte sich um sie. Aber sein Vater und sein grosser Bruder fanden keine Arbeit und ihnen ging das letzte Geld aus. So entschieden sie, wieder zurück nach Tacloban zu gehen. "Das Sozialamt gab uns 4,500 Pesos (80 Euro) so dass wir zurückreisen konnten. Doch das reichte nicht einmal um den Bus zu bezahlen. Zum Glück liess das Busunternehmen meinen jüngsten Sohn Edmond kostenlos mitfahren," erzählt sein Vater Edegario Sr. "Jetzt will ich das Haus wieder aufbauen, aber ich habe nicht einmal Geld um Holz zu kaufen." Sogar sein Fahrradtaxi, Grundlage eines bscheidenen und hart verdienten Einkommens, ist zerstört. Die einzige Einnahmequelle ist ein kleines Reisfeld, das er bewirtschaftet.

Bis heute ist die Familie von Hilfsgütern abhängig. "Seit Yolanda habe ich kein Fleisch gegessen", sagt Edegario. "Nur Konserven und ab und zu Gemüse das meine Mutter auf dem Markt kaufen konnte." Seit dieser Woche gibt es zumindest eine Schulmahlzeit, gesponsert von einer Fastfoodkette. "Heute gab es Porridge mit Ei.

Auch drei Monate nach dem 8. November, der ihr Leben für immer verändert hat, kämpft seine Familie darum, wieder einen Fuss auf den Boden zu bekommen. Zumindest kann er jetzt wieder in die Schule, zusammen mit seinem kleinen Bruder Edmond (9) der in die 3. Klasse geht. Sein grosser Bruder Joel (21) ist Lehrer und hat auch gerade erst wieder angefangen seinem Beruf nachzugehen. Und doch, in all dem täglichen Kampf, ist es vor allem ein Wunsch, den Edegario hat: "Ich wünsche mir einfach nur, dass wir von jetzt an immer sicher sind."
 
Edegario in seinem zerstörten Klassenzimmer
 

Edegario vor dem temporären Notzelt in dem seine Klasse unterrichtet wird
 
 
 "Hier war überall Gras", erzählt Edegario. "Dann habt ihr da immer gespielt?", frage ich.
"Nein! Wegen der Schlangen!"
 
 

Edegario und seine Familie zeigen mir, wo ihr Haus stand. Der Holzpfosten neben ihnen ist alles was von ihrem Zuhause übrigblieb.
 
 
 
Edegario und seine Familie: Edmond (9), Mutter Mila und Vater Edegario Sr., vor dem notdürftig reparierten Haus ihres Onkels, in dem sie jetzt untergekommen sind.
 
 
 
 
 
 

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